Zweite Runde von „Runter vom Gas“
Wie verkraftet die Industrie den Anstieg der Energiepreise? Und welche Strategien gibt es, um den Industriestandort in Baden-Württemberg zu erhalten? Dies waren die Themen der zweiten Veranstaltung unserer Reihe „Runter vom Gas“ am 17.01.2023 in der Aula des Bildungscampus in Heilbronn.
Günther Oettinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg a.D., ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Kommissar für Energie zeigte in seiner Eröffnungsrede die Relevanz der Verfügbarkeit von sicherer und bezahlbarer Energie auf.
Deutschland sei in Europa eines der wenigen Länder, dessen Wohlstand noch auf der industriellen Fertigung basiere. Um den Industriestandort zu erhalten, brauche es eine bezahlbare und sichere Energieversorgung. Baden-Württemberg sei aufgrund seiner geographischen Lage besonders gefährdet, denn die neuen Energien von Strom bis hin zu Wasserstoff müssen zuerst von Norden nach Süden transportiert werden.
„Energie, die Versorgungssicherheit und die Preise sind ein entscheidender Standortfaktor und es geht darum, dass die verarbeitende Industrie – Automotive, Zulieferer, Maschinenbau und die chemische Industrie – auch weiter im deutschen Süden verfügbare und bezahlbare Energie, d.h. Strom und Gas, bekommen.“
Da man aktuell Strom noch nicht in großen Mengen speichern könne, brauche es Back-up Strategien, d. h. insbesondere Gaskraftwerkwerke. Die Energiepolitik sei momentan jedoch von allen Seiten zu stark emotionalisiert und wir täten gut daran, wieder zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren. Den Befürwortern eines schnellen Ausbaus der Erneuerbaren Energien warf er vor: Windräder und Wasserspeicher müssten dringend gebaut werden, jedoch grundsätzlich nicht im eigenen Umfeld. Auch hier fordert er mehr und schnellere Umsetzung. Die Gefahr einer Abwanderung von Teilen der deutschen und europäischen Industrie sieht Oettinger durchaus, hier könne die Politik den Wirtschaftsstandort mit konkreteren Aussagen zu mehr Planungssicherheit verhelfen. Den Unternehmern rät er allerdings dringend von Produktionsauslagerungen insbesondere nach China ab: Zu wenig politische Stabilität und technische Kompetenz machten Investitionen dort zum Risiko.
Hans-Jörg Vollert, Unternehmer und Vorsitzender der Südwestmetall Heilbronn/Franken wies darauf hin, dass die Unternehmen durch die Energiekrise schwer getroffen wären. Größere Unternehmen würden verstärkt die Produktion in Länder mit geringeren Energiekosten verlagern, der Mittelstand stehe aber zu dem Produktionsstandort Deutschland. Damit dies so bleibe, bräuchte es aber einen verlässlichen Plan.
„Bis Mitte April ist mit der Atomkraft Schluss. Ich halte es für schwierig, da bei der jetzigen Situation noch relativ viel unklar ist. Die Atomkraft macht zwar noch 6% unseres Strombedarfs aus, aber anstatt dessen jetzt Atomstrom aus Frankreich zu importieren; das Thema Gas, Fracking Gas aus USA – Sie müssen einfach sehen, das im Prinzip bei jedem Schiff, jeder Schiffsladung LNG wird 15% dieser Schiffsladung schon einmal zum Verflüssigen gebraucht und dann wird es mit Schweröl über die Weltmeere geschippert, also ich denke es würde absolut Sinn machen die Atomkraft weiter laufen zu lassen-solange es noch geht; also keine neuen Atomkraftwerke bauen, aber die die wir haben länger laufen lassen. Und zum Beispiel auch über Fracking in Deutschland Gedanken zu machen, da das von der Gesamtenergiebilanz deutlich besser wäreist, als das was wir jetzt machen.“
Maike Schmidt, Wirtschaftsingenieurin und Leiterin Fachgebiet Systemanalyse am Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg und Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrats der Landesregierung wies darauf hin, dass die Energiewende unabdingbar sei, um den Klimawandel aufzuhalten. Die technischen Herausforderungen bezüglich der Speicherung von erneuerbaren Energien wären insbesondere durch den Einsatz von aktuell Erdgas und später Wasserstoff handhabbar, es fehle allerdings noch der richtige Regelrahmen. Sie hob zudem hervor, dass die Industrie in Baden-Württemberg die Zeichen der Zeit erkannt hätte. Eine Vielzahl von innovativen Unternehmen würde bereits jetzt die sich ergebenden Chancen erkennen und Produkte entwickeln, um die Energiewende auch aktiv mitzugestalten.
„Auch in einer treibhausgasneutralen Welt werden wir noch chemische Energieträger einsetzen, allen voran (grünen) Wasserstoff. Die Technologien für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft sind entwickelt, die Unternehmen wollen in den Transformationsprozess einsteigen, um ihre Produktion, Logistik und Produkte klimaneutral zu gestalten. Was fehlt ist der regulatorische Rahmen, der die nötige Planungs- und Investitionssicherheit bietet. Hier ist schnelles Handeln auf allen Ebenen erforderlich!“
Weg von einer passiven Rolle in der Energiewende betonte auch Eva Deuchert, Volkswirtschaftlerin am Ferdinand-Steinbeis Institut. Strom käme nicht nur aus der Steckdose. Gerade mittelständische Unternehmen können durch den Bau eigener Photovoltaikanlagen auf dem Betriebsgelände und dem Abschluss von langfristigen Stromkaufvereinbarung von den geringen Stromentstehungskosten der Erneuerbaren Energien profitieren und sich somit unabhängiger von den Unsicherheiten der Energiemärkte machen. Wenn die aus Windkraft erzeugte Energie dann noch direkt vor Ort gebraucht werde, wirke sich dies auch positiv auf die Akzeptanz aus. Die Forderung nach einem Weiterlaufen der Atomkraftwerke sieht Eva Deuchert als kritisch. Der Atomausstieg wurde 2011 mit einer großen politischen Mehrheit beschlossen. Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke sei nur dann zu rechtfertigen, wenn eine akute Gefährdung der Versorgungssicherheit vorläge. Wichtiger sei es jetzt nach vorne zu schauen.
„Um die Energiewende schnell zu schaffen, braucht es eine breite Unterstützung – auch aus der Wirtschaft!“ Eva Deuchert
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